In God We Bad Trust

Hinter einer Gebirgskette im Norden Tansanias geht die Sonne langsam unter. Zwischen einfachen Holzverschlägen stehen Gruppen von jungen Männern. Manche von ihnen sind noch keine 16 Jahre alt. Sie machen sich bereit, bereit für den Abstieg. Jede Nacht klettern sie Hunderte von Metern unter die Erde. Sie haben keine Atemmasken. Auch keine Helme und die meisten nicht einmal Schuhe. Statt Grubenlampen binden sie sich Taschenlampen auf die Köpfe. Einer nach dem anderen klettert an der klapprig gezimmerten Holzleiter in das Loch, das so groß ist, dass kaum zwei Arbeiter aneinander vorbei kommen. Schon nach ein paar Metern verschluckt sie die absolute Dunkelheit. Sie sehen nur den kleinen Kreis vor sich, den die Taschenlampe erhellt. Der Abstieg erfolgt nach Gefühl. Abrutschen kann das Leben kosten. Irgendwann versagt die Orientierung. Die Luft wird dick. Die gesamte Sauerstoffversorgung hängt von einem Kompressor ab, der durch einen dünnen Schlauch Frischluft in die Mine bläst, fällt er aus, wird das Überleben zur Glückssache.

Was dann passiert, hat Douglas am eigenen Leib erfahren. „Erst werden die Glieder schwer, dann wirst du ohnmächtig und dann erstickst du“. Seine Kumpel haben ihn damals, als er noch neu in den Minen war, gerade noch rechtzeitig bergen können. Nicht jeder hatte so viel Glück. Robert, einem Arbeiter aus der Nachbarmine erging es wie Douglas, er konnte allerdings nicht rechtzeitig  gerettet werden. Man fand ihn tot in einem Stollen. Erstickt im Alter von 17 Jahren. Die Bergleute arbeiten in Schichten von zehn bis vierzehn Stunden. Währenddessen immer wieder Sprengungen, die ganze Nacht hindurch. In einer dieser Nächte verlor Christoph dabei seinen Unterarm. Er hatte die Warnung nicht mehr gehört und war dann sofort ohnmächtig geworden. Die Kumpel schleppten ihn den 300 Meter senkrechten Schacht nach oben. Heute arbeitet Christoph noch immer in den Minen und hat gelernt, einhändig an einem Seil zu klettern.

Geschätzte 30 Jahre ist Douglas alt, so genau weiß er das nicht. Er kam auf dem Land zur Welt. Seit 10 Jahren arbeitet er in den Minen. Es kommt ihm vor wie sein ganzes Leben: „An die Zeit vor dem Bergbau kann ich mich schon fast nicht mehr erinnern.“ Jede Nacht steigt er in die Minen hinunter. In nahezu senkrecht verlaufenden Schächten, die die Arbeiter immer tiefer in das Gestein sprengen. Der tiefste Schacht geht tausend Meter tief in die Dunkelheit. Sicherheitsmaßnahmen gibt es keine. Douglas ist Bohrarbeiter, das heißt, er bohrt die Löcher für die Sprengladungen. Er ist immer ganz vorne dabei. Douglas ist schlank aber muskulös wie alle Arbeiter. Bis zu einer Stunde braucht er für den kräftezehrenden Abstieg. Schon nach ein paar Metern endet die Holzleiter und die Arbeiter müssen an einem Seil und der blanken Felswand in die tiefe Schwärze hinab klettern.

Die Luft ist voller Graphit. Das Graphitvorkommen hier gehört zu den weltweit besten. Aber daran ist niemand interessiert. Längst lohnt sich der Graphitabbau nicht mehr. Fabriken in China erzeugen den Rohstoff chemisch. Die Bergleute sind auf der Suche nach etwas anderem. Nach etwas wertvollerem. Einem Edelstein tausendmal seltener als Diamant. Dem spätestens seit dem Film „Titanic“ berühmten, stahlblauen Tansanit. Der Film half dem Stein innerhalb von kurzer Zeit bekannt zu werden und Höchstpreise von über 1000 Dollar pro Karat zu erreichen. Dabei sieht der Stein nur aus, wie der blaue Diamant aus dem Film. Tansanit wurde sogar erst 55 Jahre nach dem Untergang der Titanic entdeckt.

Erste und Dritte Welt direkt nebeneinander

Im Jahre 1967 zog ein Maasai mit seiner Viehherde durch die ausgetrocknete Steppe hier im Norden von Tansania und fand den glasklaren, tiefblauen Edelstein. Als er ihn im Licht drehte, schimmerte er in den drei Farben Saphirblau, Violett und Burgundrot. Tansanit ist damit einer der am jüngsten bekannten Edelsteine. Und noch immer ist Mererani der weltweit einzige Ort, an dem der Edelstein gefördert wird.

Der kleine Bergbauort erinnert an den Goldrausch der Zwanzigerjahre im Wilden Westen. Etwa 10.000 junge Männer sind es, die hier als Bohrarbeiter, Sprengmeister und Träger arbeiten. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen von Bergleuten, die voller Hoffnung in die Minen gehen, ihr Leben riskieren für ein paar Steine, die ihnen zu plötzlichem Reichtum verhelfen sollen. Stattdessen finden sie nur Staub und Dunkelheit. Manchmal auch Wasser und dann wird es wirklich gefährlich. Nicht nur, weil die Mischung aus Wasser und Graphit eine gefährlich glitschige Masse ergibt, die sich auf der Leiter und auf den Felswänden absetzt.

Plötzlich einsetzender Regen führt fast jedes Jahr zur Überflutung der Stollen. Regelmäßig kommen dabei Arbeiter ums Leben, wenn sie es nicht mehr rechtzeitig aus den Minen schaffen. Letztes Jahr waren es sechs. Einige Jahre davor ertranken über hundert Minenarbeiter in den Schächten.

Und dann geht da noch ein Gerücht um. Die ausländischen Besitzer der einzigen großen und vollmechanisierten Mine sollen mit Krankheiten verseuchtes Wasser in die Tunnel der tansanischen Bergleute pumpen, um diese am Abbau zu hindern. Beweise dafür gibt es keine. Aber das Misstrauen ist groß. Nirgends liegen Erste und Dritte Welt so dicht beieinander. Nur durch einen von Sicherheitspersonal mit scharfen Waffen und Hunden bewachten Zaun ist das Abbaugebiet von TanzaniteOne, eines australisch-britischen Bergbaukonzerns, von den schiefen Bretterbuden der tansanischen Edelsteinsucher getrennt. Auf der einen Seite hoch bezahlte Fachkräfte, die in einem Camp mit Pool und klimatisierten Büros residieren. Auf der anderen Seite die ärmsten Menschen Tansanias, die keine andere Chance für ihre Zukunft mehr sehen, als Tunnel in die gefährlichen Tiefen des Gesteins zu sprengen, nur um ein paar kleine Steine zu finden, die sich wenig später ein reicher Amerikaner oder Europäer um den Hals hängen kann. Es sind Menschen, die keine Schulbildung erfahren haben, die meist vom Land kommen, wo sie sich und ihre Familien vom Ackerbau ernähren. Manchmal sind die Dürreperioden aber zu lang. Und reich kann von der Landwirtschaft niemand werden. Also versuchen sie ihr Glück im Edelsteinabbau. Kleinräumig und informell, manchmal auch illegal. Aber eine andere Chance haben sie nicht.

Traditionell gelten die staatlich gesetzten Grenzen der Claims nur an der Oberfläche. Ausnahme ist TanzaniteOne – eine Sperrzone für die Arbeiter sowohl über- als auch untertage. Überall hin können sie graben, nur nicht in Block C. So heißt das Abbaugebiet von TanzaniteOne. Aus diesem Grund gehen sie vor allem nachts in die Minen. Sie graben sich unter das Abbaugebiet von TanzaniteOne. In die ertragreicheren Gesteinsschichten. Werden tags darauf die Tunnel der Arbeiter entdeckt, baut TanzaniteOne Blockaden. „In der Nacht sprengen wir die Blockaden wieder weg“, erklärt Douglas, als wäre es selbstverständlich.

Ein ausländischer Investor

TanzaniteOne exportiert 99,9 Prozent ihrer Edelsteine als Rohmaterial zur Weiterverarbeitung ins Ausland. Ohne Zwischenhändler, direkt per Flugzeug. Tansanias Profit ist marginal. Um die 20 Millionen Dollar bringt der Tansanithandel der Regierung jährlich. Allein in den USA wird jedes Jahr Tansanit für insgesamt 500 Millionen Dollar verkauft. Die wenigsten tansanischen Arbeiter profitieren kaum von den ausländischen Investoren. Die eigentlichen Gewinner in Tansania sind die Politiker, die in dem korrupten Staat Anteilseigner an TanzaniteOne sind.

Für ein besseres Verhältnis zu den umliegenden Minenarbeitern baut TanzaniteOne Schulen und Straßen. Aber auch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die tansanischen Bergleute die Ressourcen ihres Landes lieber selbst ausbeuten wollen, eine Weiterverarbeitung im eigenen Land haben wollen und so Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft antreiben würden. Eine viel nachhaltigere Entwicklung als Straßenbau. „TanzaniteOne bezahlt Regierungsvertreter dafür, dass die wegschauen, wenn es zu Auseinandersetzungen mit uns kommt. Und dafür, dass sie überhaupt dort fördern dürfen“, erklärt ein Minenarbeiter, der anonym bleiben möchte. Die korrupte Regierung habe kein Interesse, das Gebiet komplett tansanischen Minenarbeitern zu geben. Diese wären nicht kontrollierbar. Statt Geld an die Regierungsvertreter zu zahlen, würden sie ja noch staatliche Unterstützung benötigen.

Vielleicht hängt es aber auch einfach damit zusammen, dass TanzaniteOne bessere Sicherheitsmaßnahmen hat und keine Unfälle auftreten, ganz im Gegensatz zu den kleinen tansanischen Minen. Und vielleicht auch damit, dass Tansanit effizient nur mit hohem technischen Aufwand zu fördern ist. Auch heute muss wieder gesprengt werden und Douglas ist mit dabei auf dem Weg nach unten.

Zwei Minuten noch

Irgendwann hört der senkrechte Abstieg auf und ein flacher, nur noch leicht nach unten führender Tunnel zweigt vom Schacht ab. Die Arbeiter robben auf allen vieren weiter, über Pakete von Abraummaterial, welches an die Oberfläche befördert werden muss. Die Luft wird immer schlechter, das Ende des Tunnels ist nahe. Eigentlich ist es kein Tunnel, es ist eine Sackgasse, so breit, dass ein Arbeiter sich gerade umdrehen kann. Eine Sackgasse über dreihundert Meter tief unter der Erde. Es gibt nur einen Weg zurück nach oben, und den zu bezwingen wird später über eine Stunde dauern. Hier ganz am Ende ist auch der Arbeitsplatz von Douglas. Zu viert bedienen die Bergleute den schweren Bohrhammer und setzen ein Loch neben das andere in die Tunnelwand.

Der Lärm ist ohrenbetäubend. Der Bohrer wirbelt Staubmassen auf und bläst sie den Arbeitern ins Gesicht. Plötzlich ein lauter Knall. Douglas brüllt über das Kreischen des Bohrers hinweg. Irgendwo weiter hinten sei der Schlauch der Frischluftversorgung abgesprungen. Der Staub wird unerträglich. Die Frischluft des Kompressors kommt nicht mehr bis ans Ende der Sackgasse. Die Temperatur liegt zwischen 40 und 50 Grad und es scheint immer heißer zu werden. „Zwei Minuten noch“ schreit Douglas Christoph zu, denn danach wird die Luft zu dick und die Gefahr zu ersticken zu groß. Seine Kumpel schätzen Douglas wegen seiner Erfahrung. In Windeseile installieren sie die Sprengladungen, dann befielt Douglas den Rückzug.

Am frühen Morgen sitzen die Männer wieder vor ihren Holzverschlägen. Manche liegen auf Paketen mit Abraummaterial, die sie gerade aus der Minen geholt haben. Dreckige T-Shirts kleben an ihren schweißnassen Körpern. Sie husten und spucken Graphitstaub auf den sandigen Boden, während sie vom Reichtum träumen. Reichtum, der doch immer nur ein Traum bleiben wird. Die Bretterbuden sind mit Hunderten von Sprüchen beschrieben. Aus ihnen liest man von Hoffnung und Enttäuschung. In roten Großbuchstaben steht auf einer Hütte „God come down and listen our voices“. Jemand hat darunter geschrieben „In God we bad trust“.



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