König der Myrrhe
Ein junger Berliner hat sich in den Kopf gesetzt, mit billigen Harzen wie Myrrhe zu handeln. Das Problem: Er muss dafür immer wieder nach Somalia, eines der gefährlichsten Länder der Welt.
von Christoph Grabitz (hier abgebildet ist eine gekürzte Fassung)
Fotos von Yannick Tylle
Nichts fasst den Wahnsinn der Geschäftsreisen von Ahmed Jama Aden besser zusammen als dieses Flugzeug zu Beginn der Reise. Eine Propellermaschine aus Sowjetbeständen, über dreißig Jahre alt. Schrott mit Tragflächen.
Ahmed sitzt zwischen Männern mit feuerroten Bärten, Frauen im Schleier, Taschen, Tüten, Kindern, Koffern. Sein Fuß wippt, macht, was er will. Wenn diese fliegende Ruine abstürzt, irgendwo auf ihrem Weg von Berbera, Somaliland, nach Bosaso, Puntland, überladen, dann ist das in Deutschland keine Nachricht wert. Aber Ahmed Jama Aden ist einer, der eine beschissene Realität mit bunten Farben ausmalen kann, ohne Romantisierung ist ein Land wie Somalia auf Dauer nicht zu ertragen. Er verzieht die Mundwinkel wie für ein Lächeln, dass man die schönen weißen Zähne unter dem dunklen Zahnfleisch sehen kann, setzt sich den iPod ins Ohr und versucht, cool zu klingen: „Wenn ich hier abstürze, dann mit Rock ’n’ Roll.”
Wenn es darauf ankommt, stottert Jama Aden. Dann hängen seine Sätze wie auf einer unsichtbaren Türschwelle fest. Gerade kommt es darauf an, genauer: auf einen zierlichen Chinesen mit spitzen Ohren, der im Flugzeug hinter ihm sitzt. Es ist Herr Liu, sein wichtigster Kunde.
Dreißig Tonnen Naturharze will Liu, Vorname Zhenfang, in der somalischen Teilrepublik Puntland kaufen, Myrrhe und Weihrauch. Braune gummiartige Klumpen, die riechen wie ein Erkältungsbad. Mit den Harzen, die die Heiligen Drei Könige dem Christuskind brachten, werden Düfte, Bioduschgels und Naturmedizin hergestellt. Ahmed Jama Aden soll die Ware besorgen, von abgeschieden lebenden Bauern, die das Harz aus der Rinde ihrer Bäume tränen lassen. Er soll dafür sorgen, dass die Ware sicher im Hafen von Dubai ankommt. Von dort aus will Liu sie in die Welt weiterverkaufen. Wenn es gut läuft, mehrere Tonnen monatlich in den kommenden Jahren. Dazu ist er auf Jama Aden angewiesen, der in Bonn geboren und aufgewachsen ist, aber aus einer wichtigen somalischen Familie stammt und sich in Somalia verständigen kann.
Warum Somalia? Die Harze brauchen ein heißes Klima mit etwas Feuchtigkeit, das gibt es vielerorts am Horn von Afrika und auf der arabischen Halbinsel. Doch in Somalia, seit 1988 im Bürgerkrieg, hoffte Liu auf niedrige Preise.
Aden hatte ihm erklärt, dass es in Somalia keine Staatsgewalt mehr gebe, Ein Land im Bürgerkrieg: niedrige Preise, kaum Konkurrenz sondern nur zerstrittene Großclans. Er selbst aber gehöre dem Clan der Darod an, Subclan Dhulbante, hatte Aden gesagt, die seien besonders einflussreich. Deshalb könne er gute Ware besorgen.
Liu wollte Jama Aden glauben, sich aber erst selbst ein Bild machen. Er hatte gehört, dass die armen somalischen Bauern die Harze mitunter mit Ziegenscheiße oder Granatsplittern streckten, um ihre Gewinne zu steigern. Und so machte sich der kleine Herr Liu, ein 56-jähriger Familienvater mit Bluthochdruck, der bis dahin mit seiner Frau in Nairobi Koffer und Taschen aus China verkauft hatte, auf den Weg in eines der gefährlichsten Länder der Welt.
Bisher macht Aden zwar schon Geschäfte mit den Harzen, und diese Geschäfte bringen Geld – aber noch keinen Gewinn. Liu ist der erste Kunde, der große und regelmäßige Deals in Aussicht stellt. Wenn Liu ihm das Kunststück nicht zutraut, die Harze zu besorgen, dann wird die Farbe der letzten Monate aus Jama Adens Leben verschwinden. Dann wird es seine Firma bald nicht mehr geben mit Sitz in einer Studenten-WG in Berlin-Neukölln. Dann wird er seinen Geldgebern erklären müssen, dass das große Ding doch nicht klappt, er wird wieder ein Junge aus Bonn sein, der mal eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann bei Kaufhof gemacht hat, bis vor kurzem in Berlin BWL studierte und der keine Lust hat auf so ein Leben im Einzelhandel. Dann wird er den Plan aufgeben müssen, etwas für sich und für Somalia zu tun und einen der wenigen Stoffe zu importieren, für die die Welt Somalia noch brauchen könnte. Er wird zurückkehren in seine flatterhafte Existenz zwischen türkischem Spätkauf, deutscher Eckkneipe und Kunstgalerien, einzige Konstante: die Anrufe seines Clans aus Somalia.
Somalia, das ist der prominenteste „Failed State” der Welt. Seit dem Niedergang der Diktatur Siad Barres vor mehr als zwanzig Jahren tobt zwischen den Clans ein Bürgerkrieg, in dem bis zu eine Million Menschen starben. Es gibt keine Polizei, kein einheitliches Recht, keine Botschaften. Rund um die Hauptstadt Mogadischu, einst eine Schönheit am Indischen Ozean, heute von jahrzehntelangen Kämpfen ausgehöhlt und zerfressen wie ein kariöser Zahn. Aber auch in Puntland und Somaliland, den stabileren Gebieten im Norden, herrschen Piraterie, Terrorismus und Hunger.
Siad Barre war Ahmed Jama Adens Großonkel. Und Jama Adens Vater war der letzte Militärbeauftragte der Regierung Siad Barres in Deutschland. Als Jama Aden ein Baby war und eine Hirnhautentzündung hatte, kam der Diktator Barre für die Behandlungskosten auf. Man half sich. Mit dem Sturz Siad Barres 1991 verloren die Eltern von Jama Aden nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihren Status als angesehene Diplomaten. Sein Vater fand nur noch befristet Arbeit in der Industrie rund um Bonn, seine Mutter putzte in Krankenhäusern.
Vor dem Flughafen stehen sechs schwer bewaffnete Soldaten. 24 Stunden täglich werden sie den kleinen Herrn Liu bewachen, dafür zahlt Jama Aden jedem von ihnen fünfzehn Dollar pro Tag. Bei jeder Pinkelpause werden sie den Jeep mit ihren Kalaschnikows umstellen, als handelte es sich um einen Tresor voller Gold. Sie werden aber auch heimlich die Zigaretten Jama Adens rauchen und ihm in der Nacht 150 Dollar aus der Geldbörse stehlen. Am Ende wird das Myrrhegeschäft mit Herrn Liu an der Lethargie der Personenschützer fast scheitern.
Wie die meisten Männer in Somalia kauen sie Khat, die grünen Blätter des gleichnamigen Strauches, die den Hunger abtöten und euphorisch machen und auf Dauer das Gehirn zerstören.
Zur Begrüßung ist ein kleines Empfangskomitee angereist, darunter auch ein Vertreter der Regierung von Puntland. Der stellt sich als renommierten Historiker vor und lobt Jama Aden. Dass dieser ausgerechnet aus Deutschland komme, sei für ihn kein Zufall. Dann hält der Historiker eine kleine Lobrede auf Adolf Hitler.
Behind the scenes
Für den Gast aus China ist auf dem Wohnzimmertisch in farbigen Plastiktüten Adens Sortiment ausgelegt: Myrrhe, Weihrauch, Gummiarabikum, Herr Liu grinst von einem Ohrläppchen zum anderen. Er zündet sich eine Zigarette an, zieht genüsslich daran, wiegt die Proben in der Hand, wie um sich ihres Wertes zu versichern, riecht daran, strahlt. Nie war er dem Traum vom großen Harzgeschäft näher als in diesem Moment.
Dabei war Liu auf der Hinreise bereits kurz davor gewesen, alles aufzugeben. Im Osten Äthiopiens hatte Jama Aden ihn zu Familienangehörigen mitgenommen, auf eine Tasse Tee auf der Durchreise, alles Somalis, die seit zwanzig Jahren in der Nähe der Grenze auf ein besseres Somalia warten. Da hatte ein Somali Liu zur Seite genommen. „Dreh um”, hatte er gesagt und an Liu gerüttelt: „They‘ll kill you!” Liu hatte auf seine Hartgummischuhe heruntergeschaut und nicht mehr gewusst, was er tun sollte.
Wenige Kilometer weiter hatte Jama Aden zu Liu gesagt, er habe kein Geld mehr. Ein Container mit Myrrhe sei unter der glühenden Sonne des Golfs von Aden zu einem Block verschmolzen, nun weigerten sich die Abnehmer zu zahlen. Ob Liu ihm bitte etwas leihen könnte. Und das kurz vor der Einreise in ein Land, in dem Menschen für eine Handvoll Dollar erschossen werden.
An diesem Abend war ein Sturzregen niedergegangen, er hatte laut auf afrikanisches Wellblech eingetrommelt. Liu hatte in einer schäbigen Hotellobby gesessen, eine Zigarette nach der anderen geraucht und aufgeregt auf Jama Aden eingeredet. „Ohne Vertrauen keine Geschäfte, das solltest du wissen!”, hatte er ihm zugerufen. Sollte er umdrehen? Den Traum vom Harzgeschäft an dieser Stelle beerdigen und nach einem anderen Business suchen? An diesem Abend hatte Liu viel länger als gewöhnlich mit seiner Frau telefoniert.
Am nächsten Tag aber hatte die Sonne geschienen. „Hör zu, Liu”, hatte Jama Aden fast flehend gesagt, „wenn dich etwas stört auf dieser Reise, dann tippe bitte kurz mit dem kleinen Finger deiner rechten Hand an deine Nase, und ich weiß sofort, dir stinkt irgendwas.” Dann hatte Jama Aden laut gelacht, und Liu hatte wieder Mut geschöpft. Er hatte ein Lächeln in sein Gesicht gefaltet, wie man es gegenüber einem süßen Kleinkind macht, das gerade ein Zimmer verwüstet hat: „Okay”, hatte er gesagt, „we can.” Jetzt, wo er es bis nach Puntland geschafft hatte, wollte Liu nur noch das Geschäft abschließen und raus.
Aber es ist Ramadan, und die Wachen haben die ganze Nacht vor dem Hotel gelegen und Khat gekaut, tagsüber verbietet der Islam in dieser Zeit jeden Rausch. Jetzt liegen sie neben ihren Maschinengewehren auf dem Boden zwischen abgelutschten Khatzweigen und blinzeln trübe ins Morgenlicht, unfähig, auch nur den Angriff einer Wespe abzuwehren. „Kein Wunder, dass hier nichts funktioniert”, schimpft Jama Aden, „das Personal dieses Landes ist entweder traumatisiert oder auf Drogen.” Er liebt Somalia, das er erst seit zwei Jahren kennt. Er möchte etwas für das wunde Land tun, hier sind seine Wurzeln. Aber das Objekt seiner Liebe tritt ihm wiederholt und mit Anlauf in den Hintern. Ahmed Jama Aden ist ein hoffnungslos Verliebter.
Gegen zehn Uhr geht es endlich los, der Fahrer hat keine Minute geschlafen. Er rast wie ein Irrer, denn in den Bergen hinter Bosaso hält sich die Terrormiliz Al Shabab versteckt. Es beginnt eine Ochsentour durch Gestrüpp, Sand und Stein. Jama Aden schüttelt die Hände zorniger alter Männer mit roten Bärten, die ihm ausgetrocknete Brunnen zeigen und sich darüber beschweren, dass immer wieder ein paar Besucher vorbeikämen, blöde glotzten, als wären sie im Zoo, sich aber nichts zum Guten wenden würde. Irgendwann ist es zu spät, um zurückzufahren, der Fahrer sackt müde im Sekundenschlaf zusammen.
Der nächste Tag ist der letzte, der Liu für den Handel bleibt. Und noch immer hat Aden kein Kilo Harz gekauft. Liu hängt wie ein faltiges Tuch im Sessel, kurz vor Schluss droht alles zu scheitern. Er muss sich fühlen wie ein Goldfisch, der durch das Plexiglas seines Aquariums einen Eimer mit Futter sieht. Zeit verrinnt. Die Ventilatoren zerschneiden sinnlos die Luft über den Köpfen, die Gazellen suchen und finden etwas Gras am Rande des Asphalts, im Aschenbecher fällt eine Kippe auf die andere.
Irgendwann erscheinen Adens Mitarbeiter, aufreizend langsam, und in der Innenstadt von Bosaso beginnt ein Harzeinkauf der somalischen Art: Der Jeep fährt vor, die Soldaten springen mit vorgehaltener Waffe raus und bilden für Jama Aden und Liu einen Korridor, der sie in die dunklen Gewölbe führt, wo die Harze auf dem Boden lagern. Liu und Aden prüfen die Ware, indem sie an ihr schnuppern, sie mit dem Feuerzeug anbrennen, sie zwischen ihren Händen verreiben. „Einen fairen Preis”, sagt Jama Aden, „bekommt man dadurch, dass man die völlig überteuerte, aber hochwertige Ware anschaut, ‚poor quality‘ seufzt, in den Jeep steigt, losfährt und den verzweifelten Verkäufer so lange halb weinend und halb schreiend neben dem Auto herlaufen lässt, bis er einen vernünftigen Preis nennt.” So geschieht es.
Am Tag der geplanten Abreise gibt es keine Flugzeuge mehr raus aus Puntland. Auch am übernächsten nicht. Und nicht am Tag danach. Es heißt, die Minister hätten für ein wichtiges Meeting im Ausland sämtliche Flugzeuge beschlagnahmt. Liu hat keine Medizin mehr gegen seinen Bluthochdruck.
Jama Aden hängt verzweifelt am Blackberry, holt sich Rat von seinem Vater in Bonn, versucht, einen Privatjet zu organisieren, aus Addis Abeba, aus Nairobi, von der deutschen Botschaft, egal. Selbst das einzige Flugzeug, das täglich fliegt, ist voll: der Drogenkurier, das Khat-Flugzeug.
Eine Woche später sitzt Ahmed Jama Aden in der Berliner Hobrechtstraße im “Raumfahrer”, der Bar, in der er einst die Idee für sein Somalia-Business hatte. Er ist rasiert und hat zwei Tage geschlafen, er sieht kleiner aus als in Somalia. Adens Freundin Inga ist aus Hamburg angereist, neben ihm sitzt seine Schwester Samia, die für ihr Leben gerne einmal nach Somalia fahren will. Liu durfte am Ende doch noch mit einem kleinen Jet ausreisen. Achtzehn Tonnen hat er gekauft, Myrrhe und Weihrauch. Die Ware ist unterwegs nach Dubai. „Liu ist happy”, sagt er, „er ruft mich immer wieder an, und er hat seiner Frau von der Reise erzählt, jedes Detail.” Mit Jama Adens Flugzeug gab es auf der Rückreise schlimme Turbulenzen. Eine Frau fiel in den Gang und verletzte sich, Jama Aden kotzte seine Hose voll, selbst die abgebrühte russische Crew zitterte vor Angst.
“Ich fahre nie wieder nach Somalia”, sagt er, laut genug, dass Inga es hören kann. Aber es klingt nicht wie eine Entscheidung, sondern wie eine Frage.
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